Dem Dorf gehört die Zukunft!

Zukunftsforscher
verrät wieso!

27. Januar 2020

Zukunftsforscher verrät wieso:

Dem Dorf gehört die Zukunft!
Warum Kleinstädte und Dörfer eine Renaissance erleben.

Bislang galt für die Stadt- und Regionalentwicklung in Deutschland: Großstädte wachsen, ländliche Regionen schrumpfen und viele Dörfer sterben aus. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft haben sich dem Trend nahezu widerstandslos ergeben. „Stadt“ war in, „Land“ war out. „Landflucht“ gilt in Deutschland als Naturgesetz. Wer hieran etwas Positives sehen wollte, sprach von „Schöner Schrumpfen“ und empfahl Wegzugprämien für die zurück gebliebene Bevölkerung. Seit einigen Jahren kehrt sich die Entwicklung jedoch um. Der jahrzehntelange Trend zur Landflucht, wonach immer mehr Menschen in die Städte ziehen und das Land verlassen, scheint zum Teil gestoppt. Erstmals seit zwanzig Jahren verlieren die sieben größten deutschen Städte Einwohner. Immer mehr Familien und Unternehmen ziehen in das nahe Umland. Wird sich die Trendwende in Zukunft weiter verstärken und kann davon der ländliche Raum profitieren? Und was können Kommunen unternehmen, um mehr Einwohner zu halten und zu gewinnen? Für ein Comeback der ländlichen Räume sprechen globale, ökonomische und technologische Trends.

Umfragen zeigen, dass 40 Prozent der Menschen in einer Kleinstadt leben wollen

Der Megatrend der Globalisierung führt entgegen früherer Prognosen nicht zu einem universellen, überall gleich geltenden Lebenswandel. Globale und regionale Identitäten bilden keinen Widerspruch, sie bedingen vielmehr einander. Zukunftsforscher sprechen vom Trend zur „Glokalisierung“: Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten. Dialekt und eine Fremdsprache sprechen, global arbeiten und lokal leben, sind keine Gegensätze, sondern ergänzen sich. Die Globalisierung führt zu einer wachsenden Nachfrage nach Heimat, Landlust und Nachbarschaft. Wir reisen viel und sind dennoch ortsverbunden. Wir denken global und handeln lokal. Der Mensch war schon immer ein globaler Dorfbewohner.

Auch aus ökonomischen Gründen hat das Dorf gute Zukunftaussichten

Auch ökonomisch spricht einiges für den ländlichen Raum. Viele Regionen, die von Abwanderung bedroht sind, suchen händeringend nach Arbeitskräften. Nur in wenigen von rund 300 Landkreisen ist in den letzten Jahren die Zahl der Arbeitsplätze gesunken. Viele erfolgreiche Weltmarkführer haben ihren Sitz in der Provinz. Die Mehrheit dieser meist kleinen und mittleren Unternehmen sucht Fachkräfte, fast alle suchen Auszubildende. Die Beschäftigung ist im ländlichen Raum deutlich stabiler. Die Zahl der Arbeitslosen geht dort stärker zurück als in den Großstädten.

Das Leben in der Stadt ist viel zu teuer

Immer weniger Menschen können sich in den Städten eine Wohnung leisten. Der Wohnbedarf wird sich vor allem in den Großstädten nur zur Hälfte decken lassen. Forscher warnen vor einer neuen Wohnungsnot. Deutschland hat die schlechteste Wohnraumförderung in Europa. Stadtluft macht arm. Wegen der höheren Lebenshaltungskosten insbesondere für Wohnen gilt nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft jeder fünfte Bewohner einer deutschen Großstadt als kaufkraftarm. 25 bis 45 Prozent geben Städter für Miete aus, in den ländlichen Regionen sind es oft nur 10 Prozent. Die Eigenheimquote liegt hier bei 80 Prozent. Die Armut konzentriert sich zunehmend in den Metropolen und Ballungsgebieten. Nordrhein-Westfalen hat eine geringere Kaufkraft als Thüringen.

10 % geben die Menschen auf dem Land für die Miete aus. In der Stadt sind es bis zu 45 Prozent.

Die Grenzen zwischen Urbanität und Dörflichkeit verschwimmen zunehmend. Damit entstehen neue Chancen und Perspektiven für den ländlichen Raum und damit auch für die Kommunen Es geht in Zukunft darum, vor Ort vorhandene Stärken zu stärken und neue zu entwickeln. Weltoffenheit, Kreativität, vernetztes Denken und kulturelle Diversität werden nicht nur in den Städten gelebt. Auch in ländlichen Gebieten führt die Verschiedenheit der Lebensstile zur Nachfrage nach alternativen Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten.

Der digitale Wandel macht die Entzerrung von Wohnen und Arbeiten möglich. Wenn demnächst überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich theoretisch in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt produzieren und arbeiten. Arbeit wird multi-mobil und multi-lokal. Die Mehrheit der Arbeitnehmer wird in Zukunft – zum Teil oder überwiegend – zuhause arbeiten. Telearbeit und Homeoffice sind Bestandteil der Arbeit in Zukunft.

Neue Formen der Mobilität und der Gesundheitsversorgung entstehen. Lange Wegstrecken und Pendeln werden dank zunehmender Automatisierung und vernetztem Fahren zum Auslaufmodell. Das gilt auch für den Arztbesuch. Telemedizin macht zunehmend lange Wartezeiten in den Praxen überflüssig. Viele Krankheiten können künftig mit Hilfe von elektronischer Kommunikation behandelt werden. Immer mehr Gesundheitslösungen kommen in die eigenen vier Wände. „Home Care“ wird zum Wachstumsmarkt. Die Menschen werden schon bald mehr Zeit zuhause, mit der Familie und für sich selbst haben.

Auch junge Menschen zieht es aufs Land

Auch für den Tourismus bietet der ländliche Raum in Zukunft neue Möglichkeiten. In vielen Regionen entstehen „Silver Valleys“ für Menschen, die nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit selbstbestimmt und in aktiver Gesundheit ihre neue Freiheit genießen wollen. Das schnelle Internet wird Start-ups und Unternehmen auch auf dem Land möglich machen. „Bio-Dörfer“ ziehen gestresste Städter und ihre Familien an. Verbraucher und Konsumenten fragen zunehmend nach Qualität, Herkunft und Art der Produktion. Andere Regionen werden junge Menschen und Zuwanderer anlocken. Der demografische Wandel bietet für die Kommunen die große Chance aus der Not eine Tugend und den ländlichen Raum zum Vorbild zu machen.  Gefragt sind innovative Strategien für die Zukunftsthemen Digitalisierung, Mobilität, Gesundheit, Bildung, neues Arbeiten und Tourismus.

Dem Dorf gehört die Zukunft

Die Gewinner der Entwicklung sind kreative Kommunen: vitale Klein- und Mittelstädte und agile Dörfer. Lebensqualität, Bildung und bürgerschaftliches Engagement sind die neuen Standortfaktoren. Kreative Kommunen nutzen die neue Lust aufs Land als Wettbewerbsvorteil und sind attraktiv für Einheimische wie Fremde. Eine von vielen guten Beispielen ist Hiddenhausen im Kreis Herford. Um attraktiver für neue Bewohner zu werden, entwickelte der Bürgermeister der Kommune das Konzept „Jung kauft Alt“. Familien werden finanziell gefördert, wenn sie ein älteres Haus kaufen. Die Förderung hängt von der Kinderzahl ab. Die Idee rechnet sich: 580 Altbauten fanden in den letzten 10 Jahren einen Käufer. In den Häusern leben heute über 700 Kinder. Kindergarten und Ganztagsbetreuung mussten erweitert werden. Die Erfolgsfaktoren sind meist die gleichen: Kommunale Visionäre, Offenheit nach außen, eine erzählenswerte Geschichte und Selbstbewusstsein.

Dem ländlichen Raum gehört die Zukunft. Die Politik sollte ihrem Versprechen der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ Taten folgen lassen und den ländlichen Raum machen lassen. Statt Fernsteuerung und Fremdbestimmung geht es um kommunales Empowerment und dezentrale Entscheidungsfreiheit.  Nicht „Aufbau Ost“ oder „Aufbau West“ ist das Gebot der Stunde, sondern „Aufbau Land“.  Der Wandel bietet die einmalige Chance aus der Not eine Tugend und Deutschland zum Vorbild zu machen: Ein Land der Hochbetagten und Hochbegabten. Ein Land der Smart Cities und Smart Countries. Ein Zukunfts-Land.

von Daniel Dettling
Zukunftsforscher I Gastautor
22. Januar 2020
Quelle: KOMMUNAL.