„Wir brauchen dringend neue Hoffnung“
Interview mit Inken Steinhauser, Geschäftsführerin des Unternehmensverbands AIW
Von Horst Andresen
Inken Steinhauser (59) leitet seit zwei Jahren den Unternehmensverband Aktive Unternehmen im Westmünsterland (AIW) mit Sitz in Stadtlohn. Zuvor war die 59-Jährige für Digitales bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken (WFG) und verschiedene Unternehmen in führender Position tätig.
Frage: Inken Steinhauser, Sie sind in Freiburg geboren, bei Köln aufgewachsen und haben in diversen Großstädten in Deutschland gelebt, und dann hat es Sie ins Westmünsterland verschlagen. Warum?
Steinhauser: Ja, eigentlich bin ich das beste Beispiel dafür, wie man Fachkräfte „von außen“ gewinnen kann – weil das Münsterland einfach so viel zu bieten hat.
Frage: Welche Vorteile meinen Sie?
Steinhauser: Hier gibt es viele tolle mittelständische Unternehmen mit einer ausgeprägten Kultur des Miteinanders. Sie sind innovativ, widerstandsfähig und bringen eine besondere Energie mit – ganz anders als viele Konzerne. Man spürt hier echtes Unternehmertum und trifft auf Betriebe, die noch lange bestehen werden. Diese starke Wirtschaftsregion ist etwas Besonderes – gerade auch in Krisenzeiten, die uns ja seit Jahren begleiten. Das ist die Unternehmensseite.
Frage: Und die andere?
Steinhauser: Warum man hier gut Mitarbeitende finden kann. Leider reden die Unternehmen selten darüber, wie viel sie bieten und wie gut sie sind. Aber unsere Region ist fantastisch, wenn man Familie hat: Tür auf, Kinder raus. Es gibt hier alle Angebote vor Ort und man kann zum erschwinglichen Preis ein Haus kaufen. Die Lebensqualität ist einfach ausgesprochen gut. Einziger Nachteil: Fürs Skifahren muss man ein bisschen weiter fahren – aber das ist ja nicht entscheidend.
Frage: Warum sollte ein Unternehmen Mitglied im AIW werden?
Steinhauser: Wir bieten viele Netzwerk-Veranstaltungen an, in denen die Unternehmen aktuelle Herausforderungen diskutieren und Erfahrungen austauschen, zum Beispiel in Interessengruppen zu relevanten Themen. Auch bieten wir die Möglichkeit, hinter die Kulissen von Unternehmen zu schauen. Gerade in einer Zeit voller Unsicherheiten und wachsender Bürokratie hilft es enorm, voneinander zu lernen. Viele stehen vor ähnlichen Problemen – und einige haben schon gute Lösungen.
„Es gibt hier eine Art ,Münsterland- DNA‘.“ Inken Steinhauser über gegenseitiger Hilfe
Frage: Also kein Abschotten, obwohl Wettbewerber mit am Tisch sitzen?
Steinhauser: Genau. Es gibt hier eine Art „Münsterland-DNA“ – wie bei der Nachbarschaftshilfe. Ich war anfangs positiv überrascht, dass Unternehmen sich gegenseitig so vertrauensvoll austauschen, unterstützen und helfen, auch branchenübergreifend.
Frage: Hilfe zur Selbsthilfe?
Steinhauser: Es ist wichtig, nicht nur im eigenen Saft zu schmoren, sondern auch mal von außen auf Probleme zu schauen und sie anzupacken. Das findet im AIW intensiv statt.
Frage: Bei der Mitgliederversammlung geht es um Innovation. Die Agrarbranche im Westmünsterland investiert kaum noch, weil ihr Verlässlichkeit fehlt. Haben Sie Hoffnungen, dass sich mit der neuen Regierung Grundlegendes ändert?
Steinhauser: Die habe ich – weil wir neue Hoffnung dringend brauchen. Einen Tag nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags hatten wir ein exklusives Treffen mit Ministerpräsident Hendrik Wüst und Geschäftsführern aus der Region bei Spaleck in Bocholt. Der Dialog hat Zuversicht geweckt, dass sich etwas verändert.
Frage: Was muss passieren?
Steinhauser: Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen – ohne sie kann kein Unternehmen sinnvoll investieren. Zum Beispiel im Bereich Energie wurden Förderungen versprochen, aber nicht realisiert oder kurzfristig gestrichen. Das schafft Unsicherheit.
Frage: Was muss geschehen?
Steinhauser: Jedem muss klar sein, wir können als Region und Land nur bestehen, wenn wir in bestimmten Bereichen besser, innovativer und eigenständiger sind – gerade im Vergleich zu Asien. Unsere Arbeits- und Standortkosten werden immer höher sein, aber wir wollen ja auch nicht auf das Lohnniveau von Osteuropa oder Asien zurückfallen.
Frage: Trumps rigorose Zollpolitik wirkt sich auch stark auf westmünsterländische Unternehmen aus?
Steinhauser: Absolut. Auch die Unberechenbarkeit ist ein Problem. Zölle müssen eingepreist werden – das macht Planung schwierig.
Frage: Das Thema Arbeitskräftemangel bleibt aktuell?
Steinhauser: Ich dachte zeitweise, es hätte sich etwas entspannt – durch Entlassungen deutschlandweit in vielen Unternehmen, auch hier in Stadtlohn und Bocholt. Auffanggesellschaften haben viel geleistet. Aber: Die entlassenen Mitarbeiter passen nicht automatisch in andere Strukturen. Gehaltsvorstellungen, Qualifikationen – da gibt es oft deutliche Unterschiede. Stadtlohn und Bocholt haben in kürzester Zeit Jobbörsen organisiert und dabei großartige Arbeit geleistet.
„Auffanggesellschaften haben viel geleistet.“ Zu Entlassungen in Stadtlohn/Bocholt
Frage: Das Westmünsterland mit nach wie vor einer verhältnismäßig niedrigen Arbeitslosenquote ist weitgehend krisen-resistent?
Steinhauser: Unsere Unternehmen sind bisher weitgehend besser durchgekommen, weil die Unternehmer etwas unternehmen und einfach machen, ihr Geschäftsmodell im Blick haben, aber auch bereit sind, sowohl Risiko als auch Verantwortung zu übernehmen. Und wenn die Strukturen kleiner sind, kann man agiler sein.
Frage: Seit zwei Jahren sind Sie AIW-Geschäftsführerin eines Verbandes, dessen Mitgliedschaft männerdominiert ist. Fiel die Eingewöhnung schwer?
Steinhauser (lächelt): Überhaupt nicht. Ich hatte diesbezüglich viel Erfahrung aus Führungsaufgaben in Konzernen, zuletzt bei der Flint Group (heute XSYS) in Ahaus-Ottenstein. Außerdem bin ich mit drei Brüdern groß geworden – da mussten die Ellenbogen früh trainiert werden.
Quelle: Mittwoch, 14. Mai 2025, Borkener Zeitung / Nr. 111