Ist es den Europäern möglich, aus den aktuellen Krisen, besonders den Konsequenzen des Russland/Ukraine-Konfliktes für die Zukunft zu lernen? Diese Frage konnte der Bundestagsabgeordnete Dr. Carsten Linnemann im Polittalk nicht abschließend beantworten. Zur digitalen Mittagspause hatten wir, die Wirtschaftsvereinigung Steinfurt, und der Wirtschaftsverband Emsland eingeladen. Nicht zum ersten Mal stellte sich der CDU-Politiker den Fragen des Mittelstandes der Region. Andreas Brill und WVS-Geschäftsführer Heiner Hoffschroer moderierten den Talk.
Hinsichtlich der Sanktionen gegen Russland mahnte Linnemann, ihre Effektivität unter die Lupe zu nehmen. „Die beste Maßnahme, die zurzeit getroffen werde, ist das Einfrieren der russischen Währungsreserven“, so der Abgeordnete. „Dass heißt, Putin kann den Rubel nicht stützen, die Zentralbank hat bereits reagiert und er kann den Krieg nicht über seine Währungsreserven finanzieren.“ Noch wirkungsvoller wäre allerdings ein Embargo der Öl, Steinkohle und Gasimporte. Allerdings würde ein Gasembargo die deutsche Industrie empfindlich treffen. „Wir hatten noch nie so wenig Gasreserven wie momentan“, sagte Linnemann. Im letzten Herbst drosselte Wladimir Putin das Gasangebot, so dass der Preis drastisch stieg. In dieser Situation habe Deutschland seine Vorräte nicht entsprechend ergänzt. Der Gasbedarf in der Bundesrepublik könne noch bis Oktober gedeckt werden, danach jedoch nicht mehr. Es fehlen insbesondere LNG – Flüssiggas -Terminals, der Neubau dieser Speicher würde rund vier Jahre dauern. Die Problematik ist nicht so leicht zu lösen, der Abgeordnete erhielt bereits zahlreiche Mails aus der Deutschen Wirtschaft, die sich über diesen Stand der Dinge Sorgen macht.
Mit Gazprom weiter zusammenzuarbeiten ist für den Politiker keine Option. „Gazprom ist keine Firma, Gazprom ist der russische Staat“, betonte er. Allerdings müsse genau ausgelotet werden, ob ein Gasembargo den Präsidenten der russischen Föderation überhaupt beeindrucken könne. Sollte am Ende dabei herauskommen, dass Pipelines von den großflächigen Ölfeldern Russlands nach China verlegt würden, sei das für die europäische Wirtschaft kontraproduktiv. Gleichwohl betonte Linnemann seine Position, dass Kriegstreiber Putin in jedem Fall gestoppt werden müsse.
Dass Sanktionen gegen Russland auf die deutsche Wirtschaft zurückschlagen, scheint unvermeidbar. Hoffschroer stellte die Frage, ob bereits mit unterstützenden Fonds, Ausgleichszahlungen oder Ähnliches von Seiten der Regierung gerechnet werden könne. Der Abgeordnete gab sich zurückhaltend. „Wir werden als Gesellschaft unseren Preis für diesen Krieg zahlen müssen“, sagte Linnemann. „Wir werden in den nächsten 15 Jahren nicht den Wohlstand haben, den wir hätten, wenn es diesen Krieg nicht gäbe.“ Er plädiert dafür, Unterstützung nur an diejenigen Unternehmen zu zahlen, die tatsächlich Not leiden und vom „Gießkannenprinzip“ der Corona-Pandemie abzuweichen. Das sei auf die Dauer nicht finanzierbar.
Wir brauchen eine Staatsreform
hob der Politiker hervor. „Darum arbeitet die CDU in den nächsten zwei Jahren verstärkt an einer Strukturreform, bei der die Hierarchie in den Ministerien und Verwaltungen abgeflacht wird. Ziel ist, Infrastrukturvorhaben schneller und effektiver umsetzen zu können. Es gelte, unter anderem das Genehmigungsrecht zu ändern, damit Vorhaben wie zum Beispiel der Bau notwendiger LNG-Terminals in kürzerer Zeit als bisher realisiert werden könnten. Linnemann befürwortet „Modellregionen“ für bestimmte Bereiche.
„Europa“, sagte der Abgeordnete, müsse sich in Zukunft auf mehrere Schwerpunkte konzentrieren: Es brauche einen starken Grenzschutz und eine starke Armee. Weiterhin sei ein Binnenmarkt von Nöten. Sozialsysteme sollten nicht harmonisiert werden, jedes Land müsse für die eigenen Schulden haften. „Lassen Sie uns mehr Marktwirtschaft wagen“, appellierte Linnemann. Bei dem Ruf nach Einheit in der EU sollten die Europäer aber auch ihre unterschiedlichen Mentalitäten leben dürfen.
Text und Screenshot: Rainer Nix
Wir bedanken uns ganz herzlich für das offene Gespräche!